Transfers

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#Mahama #Osnabrück #Transfer(s) #Westfälischer Friede

Der verminderte moll-Septimakkord auf g ist ein Akkord, der schwer wirkt, für sich steht, bewegungslos, des anderen nicht bedürftig. Er ummantelt alles wie nichts und entlockt eher Seufzer denn Worte. - Ibrahim Mahamas "Verhüllung" korrespondiert mit diesem Akkord.

Transfer ist ein Übergang von einer Wesenheit in eine andere, von fest zu flüssig zu gasförmig. Transfer ist der Zwischenberiech des Flughafens, wo Reisende außer Landes und noch nicht in einem Land sind, in einem Zwischenzustand sich befinden. Da steht der Kaufhof für den einen Zustand und die ihn ummantelnden Hüllen aus Jute und Leinen für einen anderen. Der Transfer läge dazwischen. Aber umfassender dürfte gemeint sein, der Kaufhof verliert seinen Konsumtempel Status und wandelt sich zu ... ja zu was?

Schnell wird Mahamas Ansatz mit den Verhüllungen von Christo gleichgesetzt, dem ist aber nicht so. Es handelt sich um eine Ummantelung, zumal das Dach des Kaufhofs nicht eingehüllt ist, die Jute und Leinen an Baugerüsten hängen und nur bis 5 m über den Erdboden reichen. Letzteres aus Feuerschutzgründen, aber das wäre sicher im Vorfeld zu klären gewesen.

Seitdem das Ehepaar Christo mit ihren Verhüllungen einen gewissen Standard gesetzt haben, wird Ummantelungs-, Verpackungs- und Verhüllungskunst schnell an deren Ästhetik gemessen. Ibrahim Mahama ist da "ungefälliger". Jute und bestickte Leinen wirken wie ein Fremdkörper, auf die Fläche des großen Kaufhofs verteilt haben manche Besucherinnen und Besucher das Gefühl, einem Urtier der Vorzeit gegenüber zu stehen. Fremdheit wird vermittelt, die zur Wortlosigkeit führen kann, weil fassbare Begriffe und bekannte Kategorien fehlen. Insofern vollzieht sich der Transfer im betrachtenden Blick, im Zuschauer, der diese Ummantelung adaptieren und für sich fassbar zu machen sucht.

Im Kunstunterricht werden unverpackte und verpackte Gegenstände gegenüber gestellt; wahrgenommen werden soll der Reiz des Verhüllens und das Geheimnisvolle an der Verhüllung, die den Inhalt erahnen lässt - ein Studiengang, den auch die Hochschule für Medien in Stuttgart anbietet. Dieser übliche Weg wird von Mahama verlassen, denn der verhüllte oder ummantelte Gegenstand spielt so keine Rolle mehr, ist nur tragende Fassade, nicht zuletzt durch die dazwischen geschalteten Baugerüste. Das Pragmatische, scheinbar schnell Übergeworfene und Befestigte macht hier die Qualität aus; der Eindruck einer Baustelle verstärkt sich, weil Passanten gezwungen sind, die Straßenseite überqueren zu müssen und der direkte Gehweg mit Baugittern versperrt ist.

Dazu gehört dann, das eine Aussage des Kunstwerks nicht unmittelbar erkennbar ist, ja, es scheint einer Vollendung noch zu warten oder entgegen zu sehen. Eine individuelle Handschrift trägt es, denn der Künstler nutzte diese Technik bereits an vielen Orten und Gebäuden. Der Aufwand ist immens und muss wohl als Teil des Kunstwerks verstanden werden; denn die Jutesäcke (eigentlich überall in der Welt wie hier in Deutschland) als billiges Verpackungsmaterial vorhanden) wurden eigens per Luftfracht aus Zentralafrika nach Deutschland transponiert, ist also nicht eine beliebige Jute, sondern eine mit "Geschichte". Gerade an diesem Punkt entzündet sich dann die Diskussion, wenn die Kosten mit 300.000 Euro und mehr beziffert werden.

Die Stadt Osnabrück selbst teilt mit: "Ibrahim Mahama setzt sich mit der Verteilung von Macht in verschiedenen Zeiten auseinander. Mit seinem Projekt für die Kunsthalle Osnabrück beschäftigt er sich mit alten Handelsrouten zwischen Osnabrück und dem afrikanischen Kontinent. Auf diesen Routen wurde auch mit Leinen gehandelt. Leinen war eine wichtige Ware für den Handel in Osnabrück bis heute. Ibrahim Mahama zeigt in seinem Projekt die Auswirkungen dieser Handelsverbindungen für Wirtschaft und Kultur. Dafür verhüllt er in Osnabrück das ehemalige Galeria-Kaufhof-Gebäude und zeigt ein Veranstaltungsprogramm in Ghana. Die Installation ist von außen sichtbar, aber nicht betretbar."

Damit ist auch die "Crux", das Problem dieser Installation offen gelegt. Denn aus der Perspektive der anschauenden Kunstästhetik ist dieser Ansatz überhaupt nicht erkennbar und schildert lediglich das "Drumherum", das die Stadt mit der Installation verbindet. Ein stichhaltiger Bezug lässt sich aber so nicht herstellen. So berichtete kritisch auch der NDR (1). Ob ein wirklich offener Diskus geführt werden kann, ist zu bezweifeln, denn der Künstler sagt: "Die Menschen müssen das Projekt nicht mögen, solange es sie zum Reden animiert! Es erlaubt ihnen, für einen Moment nachzudenken, selbst wenn dieses Denken dumm ist." Nun, das ist erstens bei jeder Kunst so, das die Betrachtenden entscheiden, was sie mögen oder nicht, aber zweitens dürfen solche Urteile nicht ggbf. als "dumm" klassifiziert werden - will der Künstler damit die Deutungshoheit über das Publikum gewinnen? Deshalb: Dem Kunstwerk mag eine eigene Faszination eigen sein, aber das "Drumherum" ist teils "dumm": Gute Kunst ist von der Meinung des Künstlers selbst unabhängig; gute Kunst gehört nach der Fertigstellung nicht mehr dem Künstler! Kunst hier in die Freiheit zu entlassen hieße, sie nicht mehr mit ideologischen Statements festschreiben zu wollen. Und durch die hohen, letztlich nur schwer nachvollziehbaren Kosten bleibt ein wenig der schale Geschmack des Unanständigen beibehalten.

Ein Gegenbeispiel liefert just gestern Greenpeace UK: Die Verhüllung des Hauses von Rishi Sunak ist hochpolitisch und bedient sich eines künstlerischen Sprache - sicher waren die Kosten überschaubarer.

Meine Vertonung findet sich hier: LINK MP3-Datei - eine Komposition unter dem Eindruck von Mahamas Installation, die klanglich einen g-moll Septimakkord bildet.

Einbezogen wurde ein afrikanisches Trauerlied. Künstlerisch bearbeitet im für uns exotischen 7/8 Takt und von einem afrikanischen Streichinstrument angestimmt. Auch nicht "ethnologisch" zu unserer Belustigung komponiert und arrangiert, sondern nach musik-künstlerischen Kriterien.

Das die Verbindung von europäischem Kolonialismus in Afrika, Tucharbeit und Kunst auch anders möglich ist, wird der nächste Blog zeigen zu William A. Wilson, Paris: "L’Océan Noir – The Black Ocean – O Oceano negro" im Museum für Industriekultur Osnabrück

Anmerkungen:

(1)

Ein weiterer Passant kritisiert die Finanzierung: "Das Geld hätte man deutlich besser in Jugendhilfe oder irgendwas Karitatives investieren können als in so einen Kram." In der Tat kostet das Projekt insgesamt rund 300.000 Euro, bezahlt aus öffentlichen Geldern - für öffentliche Kunst. In der Lokalpresse kommt das Projekt teilweise nicht gut weg, auch deswegen, weil manche der Stoffe per Flugzeug hergebracht wurden.

NDR: Christo-Stil gegen globale Ungerechtigkeit: Künstler verhüllt Kaufhaus in Osnabrück | NDR.de - Kultur - Kunst - Niedersachsen

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